Die gesamte Türkei hat sich plötzlich in eine Arena verwandelt, die, von einem Ende bis zum anderen, vom Widerstand des Volkes gegen den herrschenden AKP-Faschismus überflutet wurde. Das geschieht infolge des brutalen Angriffs, den die Polizei am 31. Mai in einem beliebten Park im Herzen von Istanbul, dem Gezi-Park, verübt hat. Momentan haben sich die […]
Die gesamte Türkei hat sich plötzlich in eine Arena verwandelt, die, von einem Ende bis zum anderen, vom Widerstand des Volkes gegen den herrschenden AKP-Faschismus überflutet wurde. Das geschieht infolge des brutalen Angriffs, den die Polizei am 31. Mai in einem beliebten Park im Herzen von Istanbul, dem Gezi-Park, verübt hat. Momentan haben sich die Demonstrationen auf über 50 Städte im ganzen Land ausgebreitet.
Die Massen auf den Straßen werden von keiner organisierten Kraft gelenkt. Stattdessen ist “Taksim” zur vereinigenden Kraft geworden, die Gegend im Herzen Istanbuls, in der sich der Gezi-Park befindet, und dieser ist zweifellos zum Symbol der Volksopposition geworden.
Wie andere spontane Bewegungen ist diese Bewegung als eine formlos Reaktion entstanden, doch sie hat sich entwickelt. Sie hat begonnen auszudrücken wogegen sie steht. Die Demonstrationen zielten auf den türkischen Premierminister Tayyip Erdogan, sein Büro und die Gebäude seinen Partei. Die Forderungen beinhalten den Rücktritt von Erdogan und seiner AKP-Regierung. Als Antwort erhielten die DemonstrantInnen ungezügelte, aber vergebliche Gewalt seitens der Regierung.
Die Ausdauer des Widerstands angesichts dieser Gewalt schuf Verwirrung in den Reihen der Regierung. Trotz Erdogans früherem Versprechen, dass “die Polizei da sein wird, heute und in der Zukunft”, mussten die Bullen, obwohl sie vorhatten, niemand rein zu lassen, verschwinden, als die Menschen sich ihren Weg auf die zentralen Plätze der drei größten Städte bahnten.
Die Reaktion des Volkes, die einsetzte, als die Regierung ihren Plan veröffentlichte, die Bäume im populären Park zu schlägern, um dort ein Shopping-Center zu errichten, versetzte die Regierung in Schrecken, beispielsweise Präsident Abdullah Gül, Parlamentvorsitzender Bulent Arinc, und Parteisprecher Hüseyin Celik , die einer nach dem anderen auftauchten, um zu versuchen, das Volk zu beschwichtigen.
Indem er sich gegen die Ankündigungen seiner eigenen Regierung stellte, musste Celik zugestehen, dass er selbst gegen das Einkaufszentrum im Park ist. Arinc wiederum gestand zu, dass ein Gerichtsbeschluss einen Baustopp vorsieht. Er rührte auch an einem anderen Skandal, dem Bau der dritten Brücke über den Bosporus, die Meeresstraße durch Istanbul. Der Bau dieser Brücke war als Umweltkatastrophe kritisiert worden, und hier gibt es eine Menge Korruption und Diebstahl von Land durch große Unternehmen und die Reichen im Umfeld von Erdogans Regierung. Als Höhepunkt möchte die sunnitische türkische Regierung die Brücke nach Sultan Selim benennen, einem Ottomanen des 16. Jahrhunderts, der bekannt ist für sein Massaker an mehr als 40.000 AlevitInnen, die er als Ketzer betrachtete. Heute erinnern sich mehr als 25 Millionen alevitische BürgerInnen, als eine unterdrückte Minderheit, an den berüchtigten König und seine Gräueltaten, vor allem, weil sich die sunnitische Regierung Erdogan ihnen gegenüber immer feindseliger benimmt. Arinc deutete an, dass es möglich sei, den Namen zu ändern, anscheinend ein Kompromissvorschlag, um die zunehmend militante Opposition auf den Straßen zu beruhigen.
Sogar die regierungstreue Islamische Presse konnte die Gewalt ihrer Regierung nicht mehr verteidigen. Die fundamentalistische, pro-amerikanische, geheime Organisation Die Gemeinde (Cemaat), organisiert von dem ehemaligen Flüchtling Fethullah Gulen, übte sich in Selbstkritik. Fethullah Gulen, ein CIA-Büttel, der unter dem Schutz der CIA und der US-Regierung in den Vereinigten Staaten lebt, ist ein Milliardär, der sein Geld vor allem mit seinen fundamentalistischen Schulen in den USA und weltweit gemacht hat. Diese Schulen werden dazu genützt, terroristische Aktivitäten zu organisieren, und um Mitarbeiter sowohl für die CIA als auch den Jihad zu rekrutieren. Indem sie der zunehmenden Entfremdung zwischen Erdogan und seinem Mentor Gulen in den letzten Jahren folgt, attackiert die Gemeinde-Presse Erdogan, der die Vorgänge rund um ihn herum nicht mehr wahrzunehmen scheint, in seiner eigenen kleinen, imaginären Welt lebt, ohne sich um die Gerichtsentscheidung zu kümmern, die den Bau des Einkaufszentrums verbietet, und ohne irgendjemand sonst, der/die ihn kritisiert, wahrzunehmen.
Andererseits versetzte Erdogan seine Verbündeten in der Regierung in Panik, weil er nicht von seinem provokativen Standpunkt abrückt. Er rief die Millionen gegen “eine Handvoll Faulenzer” auf die Straße. Er ging noch weiter und meinte, dass nicht nur der Park zerstört gehöre, sondern auch das daneben gelegene Kulturzentrum. Er verkündete, dass er stattdessen an Stelle des gegenwärtig dort stehenden Theaters, der Oper und des Kunstzentrums sowie des Parks eine Moschee bauen lassen werde.
Während dieser Bericht in Druck geht (am 2. Juni 2013 um 15:00 Istanbuler Zeit), haben sich am Taksim-Platz in Istanbul und am Kizilay-Platz in Ankara Hunderttausende versammelt. Ihre vereinten Schreie geben wieder, was die Menschen wirklich wollen. Die aktuelle Parole, die überall im Land zu hören ist, lautet “Erdogan tritt zurück! Regierung tritt ab!”
Wer sind diese Leute, die auf die Straße gehen?
Es sind UmweltschützerInnen, die die Verwüstung ihrer Stadt und ihres Parks verhindern wollen.
Es sind diejenigen, die genug haben von der Unterdrückung durch die AKP. Es sind KünstlerInnen, die tatsächlich SchwerarbeiterInnen sind, wegen der gefährlichen Arbeitsbedingungen, und die von der türkischen Regierung angegriffen werden wegen deren religiös und kulturell rückständiger Politik.
Es sind die ArbeiterInnen, die aus der Stadt verdrängt werden, aus der Politik, und aus dem Wohlstand, den sie selbst geschaffen haben.
Es sind diejenigen, deren Lebensstil verpönt ist, deren Streiks verboten wurden, deren Demonstrationen untersagt wurden, deren Straße, Wissenschaft, Kultur oder Gedanken geächtet wurden.
Es sind AlevitInnen, die am Sektierertum leiden und gegen die die neue Brücke benannt wird.
Es sind KurdInnen, denen ihre Rechte vorenthalten wurden, die gezwungen sind, sich der AKP-Regierung zu unterwerfen und die, trotz aller Rhetorik von “Resolution” von der türkischen Regierung immer noch als “terroristische Elemente” betrachtet werden.
Tatsächlich sind Erdogan und seine Regierung angesichts einer Bevölkerung, die sie nicht möchte, unschlüssig bezüglich ihrer eigenen Fähigkeit, die Situation zu überstehen.
Deshalb ist nun eine konkrete Analyse dieses wichtigen “Moments”, der nach dem Widerstand vom 31. Mai entstand, notwendig.
Der Aufstand vom 31. Mai ist nur die Fortsetzung der besonderen Periode von Kampf zwischen der AKP-Regierung und den gegen den Faschismus kämpfenden Massen, die am 1. Mai begann.
Die Straßen sind seit dem 1. Mai von den Massen nicht mehr verlassen worden. Die Menschen waren bereits auf den Straßen, gegen das Streben der AKP nach der absoluten Macht – in Richtung Faschismus, wenn wir diesem Streben einen Namen geben wollen. Am 6. Mai waren es die StudentInnen, am 11. Mai die Anti-Kriegs-AktivistInnen, am 15. Mai die streikenden ArbeiterInnen der Fluglinien (Turkish Airlines), am 18. Mai die RevolutionärInnen, die den legendären Kämpfer Ibrahim Kaypakkaya ehrten, der von der türkischen Regierung gefoltert und ermordet wurde. Zusätzlich zu den Angehörigen der Universitäten, den ArbeiterInnen, KünstlerInnen und den UmweltschützerInnen demonstrieren die Samstag-Mütter seit Jahren für ihre Familienmitglieder, die “verschwunden lassen” worden sind, durch die Hände des faschistischen Geheimdienstes. Frauen, die genug haben von der religiösen Unterdrückung und den “Ehrenmorden”, waren eine lange Zeit auf der Straße. Kurz gesagt, alle fortschrittlichen Elemente, die gegen die AKP sind, waren auf den Straßen und den Plätzen.
Der wegen des Gezi-Parks zunehmende und sich ausbreitende Widerstand zeigte, dass all diese legitimen, militanten und starken Widerstandsbewegungen, zusammen mit der kollektiven Erfahrung der sozialen Bewegungen, nicht umsonst waren.
All das wird weitergehen. In einigen Tagen, am 5. Juni, tritt die KESK, die Konföderation der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, in den Streik. Die DISK, die Konföderation der fortschrittlichen Gewerkschaften, bereitet sich auf eine große Demonstration am 15./16. Juni vor, um den Aufstand der ArbeiterInnen 1970 durch dieselbe Konföderation zu feiern, die wortwörtlich das Herz des Landes, die Industriegebiete, und die größte Metropole des Landes, Istanbul, übernahm.
Nun steht fest, dass die Bewegung des 31. Mai kein Kampf darum ist, den Park in den Händen des Volkes zu behalten. Dieser Kampf ist nun einer gegen Erdogan und die AKP; es ist ein Kampf, der den Hass gegen ihn und seine Partei in einen Aufstand und einen massiven Widerstand verwandelt hat.
Die Bewegung des 31. Mai ist ein Aufstand gegen Erdogan und die autoritären, unterdrückerischen, reaktionären und faschistischen Angriffe seiner Regierung auf das Leben und den Lebensstil der Menschen.
Dieser Widerstand, der am 31. Mai begann, ist keine weitere Fraktion der herrschenden Klassen, die die Bühne betritt. Vielmehr ist es der gemeinsame Widerstand der Opposition des gesamten Volkes.
Dieser Widerstand ist ein Beispiel, das die Tendenz des Volkes zeigt, den 11 Jahren AKP-Tyrannei etwas entgegen zu setzen. Der Kampf um die Rechte der städtischen Viertel, für die Umwelt, für Wissenschaft gegen Aberglauben, für Kultur und Künste, der Kampf gegen die ausschließende Politik der AKP, die jedeN und alle, die nicht für sie sind, ignoriert oder als Feinde bekämpft, gegen Streikverbote und gegen die Eindämmung der Gewerkschaften, die die ArbeiterInnen in Armut stürzt, alle kamen zusammen mit den Kämpfen der städtischen Armen, der ArbeiterInnen, der Arbeitslosen und deren Zorn – auf den Straßenkreuzungen und Plätzen.
Obwohl es keine vereinte politische Führung gibt, sind “Taksim”, der Platz und die Leute um den Gezi-Park zu einem Symbol geworden, das die Tendenz der Menschen zum Widerstand vereint.
Der 31. Mai ist die Unterwürfigkeit der AKP-Kader (der Gouverneure, der lokalen Chefs, des Sicherheitschefs), deren Unvermögen und das Fehlen jeglicher demokratischen Fähigkeiten auf dieser Seite. Das ist eine Krise eines ultimativen Führers, einer einzelnen charismatischen Person und seines Regimes. Das ist auch die Krise der steigenden Spannungen innerhalb des Regierungsblocks. Aber vor allem ist es die Intervention des Volkes in dieser Krise, ein Kampf gegen den Faschismus.
Es wird immer klarer, dass angesichts derer, die Menschen nicht von der AKP regiert werden wollen, die herrschende Partei auch nicht mehr regieren kann. Diese Tatsache schickt ein Frösteln über den Rücken der Verbündeten seiner Regierung. Die Reaktionen aus den USA, der EU, von Fethullah Gulen’s Medien, von Erdogans eigenen Medien, von der Islamischen Presse, und sogar von innerhalb seiner eigenen Partei, sie alle zeigen einen Zustand von Panik im Bemühen gegen Erdogans Provokationen, die nur noch mehr Konfrontationen hervorrufen und seine Macht bedrohen könnten.
Betrachtet mensch Recep Tayyip Erdogans Verhalten, seinen Versuch, die aktuellen Spannungen noch zu erhöhen, scheint der harte Kern der Regierung die letzten Vorfälle als eine abschließende Konfrontation zu begreifen. Es scheint, dass Erdogan glaubt, entweder muss er die Leute ausmerzen oder seine Macht wird zu verfallen beginnen.
Die soziale Opposition wird diese offene Einladung nicht zurückweisen. Aus diesem Grund muss sie die Forderungen des Volkes in einer Plattform gemeinsamen Kampfes vereinen, und sie muss ein Zentrum vereinter Führung schaffen.
Der 31. Mai ist nicht das Ende. Er ist ein Leitfaden, dessen Auswirkungen bis zu den Präsidentschaftswahlen spürbar bleiben werden. Ein Leitfaden für die ArbeiterInnen, die Armen, die Jugend, die Frauen, AlevitInnen, KurdInnen, die Intellektuellen … das heißt, für all jene, deren Interessen mit den Interessen der Führer und ihrer schamlosen Vertreterin, der AKP, zusammenprallen. Das ist ein Leitfaden für das gesamte Volk.